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100 Jahre Pierre Cochereau!
Text von Elisabeth Hubmann

Erinnerungen an einen Improvisator, der Generationen von Organisten prägte

Text von Elisabeth Hubmann

Vielerorts wird heuer dem langjährigen Organisten der Kathedrale Notre-Dame in Paris und weltberühmten Orgelimprovisatoren Pierre Cochereau gedacht, der am 9. Juli 100 Jahre alt geworden wäre. In Paris wird es daher an diesem Tag um 17h Jean-Paul Imbert, Françoise Levechin und Neithard Bethke ein Gedächtnis-Konzert geben, dessen Live-Stream man online weltweit folgen können wird. Bis dahin veröffentlicht IOOF jeden Tag Videos von OrganistInnen aus aller Welt, die auf vielerlei Facetten mit ihrer Musik auf Cochereau hindeuten.

Foto: mit freundlicher Genehmigung von SOLSTICE records

Seinerzeit der berühmteste Orgelimprovisator zusammen mit Jean Guillou, spielte Pierre Cochereau in seiner 30-jährigen Funktion an Notre-Dame de Paris nicht nur das Begräbnis von berühmten Staatsmännern wie General Charles De Gaulle, des Präsidenten Georges Pompidou, oder die spontane Gedenkfeier an Präsident John F. Kennedy – währenddessen das Schweigen der 10.000 anwesenden Menschen Cochereauals eindrucksvoller als jede Musik bezeichnete – er war auch ein geschätzter Pädagoge. Für den Schüler von unter anderem Maurice Duruflé und Marcel Dupré galt die Improvisation als eine Kunst auf dem Weg zu einer erlöschenden Tradition. Nicht genug Organisten würden seinerzeit improvisieren. Umso mehr stiftete er gerne OrganistInnen dazu an sich daran zu versuchen. Viele seiner SchülerInnen erzählen davon, wie Cochereau sie dazu einlud sich spontan während der Messe an die Konsole von Notre-Dame zu setzen und während der Gabenbereitung oder zum Auszug zu improvisieren – was nicht selten in Schweißausbrüchen endete. Briefe und andere Korrespondenzen belegen Pierre Cochereau´s Freude Organisten nach Notre-Dame oder auf seine „kleine“ fünfmanualige Hausorgel mit 63 Registern („un petit orguepersonnel“) einzuladen. Wie dieses Beispiel zeigt, war seine Bescheidenheit wie auch sein Humor legendär.

Das Erbe Cochereau´s

Zahlreiche Ton- und Videoaufnahmen geben uns heute noch einen Eindruck von seiner Person und seinem musikalischen Stil, einer elaborierten Mischung aus der Tonsprache seiner Lehrer, besonders Duruflé´s, aber auch der französisch-modalen Tradition zu improvisieren und komponieren, unter Verwendung von Chromatik und erweiterten Harmonien von Komponisten wie Louis Vierne oder Claude Debussy. Cochereau war stolz die modernste Konsole Frankreichs unter seinen Händen zu haben und besonders froh um den Umbau, der im Jahre 1963 begann und die Orgel von 90 auf 109 Register mitsamt Chamaden in 16´, 8´ und 4´-Fuß-Länge anwachsen ließ. Er war auch dahingehend Verfechter des Ausreizens moderner technischer Möglichkeiten, dass er systematisch alle sonntäglichen Konzerte in Notre-Dame tontechnisch aufnehmen ließ, mit denen er uns eine wertvolle Datenbank an organistischen Stilen hinterlassen hat. Auch auf andere Weise ist er durchaus als Vordenker zu betrachten: Er konzertierte mit einer Tournee-Orgel, die er selbst transportierte und machte damit als einer der ersten Organisten die Orgel auch außerhalb von Kirchen bekannt. Seine meisterhafte Registrierungskunst unter Verwendung einer breiten Palette an Klangfarben, seine technische Brillanz und Vielfalt an Rhythmen sind was ihn als Improvisator auszeichnen. Ihm war Form immer besonders wichtig, was er betonte, indem er Improvisation als konstruierte, aber spontane Musik, welche die Illusion einer Komposition geben sollte, definierte. So gossen sich seine Formen stets in unerwartete, neue Richtungen. In Online-Interviews, deren zahlreiche auf Youtube zugänglich sind, kann man feststellen, dass er seine Improvisationen bewusst so gestaltete, dass sie die Nachhallzeiten und die räumliche Wirkung der Pariser Kathedrale voll zur Geltung brachten. Oft betonte er auch wie wichtig eine gute Klavierspieltechnik für Organisten ist.

Foto: mit freundlicher Genehmigung von SOLSTICE records

Transmission des Cochereau-Stils

Neben seiner Funktion als Direktor des Konservatoriums in Nizza ab 1961 und ab 1979 des Conservatoire National Supérieure de Musique in Lyon, wo er sich für die Installation einer Orgel im Auditorium Maurice Ravel einsetzte, unterhielt Pierre Cochereau eine große Schüleranzahl. Diese war besonders international, da er auf zahlreichen Sommerakademien unterrichtete, unter anderem Jahre lang auf der Akademie in Haarlem (NL), die noch heute existiert. Während er nur relativ wenige Kompositionen hinterlassen hat, transkribierten vor allem Jeanne Joulain und David Briggs einige seiner Improvisationen im Nachhinein. Manche Organisten können heute noch im „Cochereau-Stil“ improvisieren, darunter Olivier Latry und François-Henri Houbart, die jedoch natürlich ihren eigenen Zugang zur Improvisation entwickelten. Nicht vergessen werden darf auf Pierre Pincemaille, der zwar niemals Cochereau´s Schüler war, sich jedoch stark von seinem Stil inspirieren ließ und diesen als einer von wenigen Organisten einer breiten Schülerschaft weitertradierte, die ihn heute noch einsetzt und weiterentwickelt. Da es seinerzeit ein regelrechtes Tabu war und nicht dem Verhaltenskodex entsprach mehrere Lehrer zur selben Zeit zu Ausbildungszwecken aufzusuchen, hatten viele OrganistInnen nicht die Chance bei Cochereau zu studierenohne von ihren Lehrern geächtet zu werden. Pierre Pincemaille eignete sich den Cochereau-Stil daher autodidaktisch an, um ihn später an seine Schüler weiterzugeben. Die Person und der Stil Cochereau´s waren derart markant, dass man wohl behaupten kann, dass er keinen französischen Orgelimprovisator auf die eine oder andere Weise unbeeinflusst ließ, auch wenn dies nicht immer bewusst ist. Erinnern wir uns also an dieses orgelimprovisatorische Erbe in einer Zeit, in der so viele Traditionen verloren gehen.

Mit freundlichem Dank an Michel Tissier, Quentin Guérillotund Neithard Bethke für das Teilen ihres Wissens und ihrer Erinnerungen.

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